Ließ das Bundesarbeitsgericht (BAG) zuvor offen, ob Zeiten der Körperreinigung vergütungspflichtige Arbeitszeit sind (BAG vom 11.10.2000 – 5 AZR 122/99), hat es das nun bejaht, wenn sich Beschäftigte so sehr verschmutzen, dass ihnen ein Verlassen des Betriebs ohne vorherige Reinigung nicht zumutbar ist (BAG vom 23.04.2024 – 5 AZR 212/23).
Sachverhalt
Ein Containermechaniker verklagte seine Arbeitgeberin auf Vergütung von Umkleide-, Wege- und Duschzeiten.
Arbeitstäglich ging er nach dem Betreten des Betriebs zu dem Gebäude, in dem sich der Umkleideraum und sein Arbeitsplatz befanden. Im ersten Stock zog er die von der Beklagten gestellte Arbeitskleidung an und verstaute seine private Kleidung im Spind. Danach ging er ins Erdgeschoss zum Zeiterfassungsterminal und gab die von der Beklagten bestimmte Uhrzeit des Schichtbeginns ein. Im Anschluss ging er an seinen 30 bis 40 Meter entfernten Arbeitsplatz. Bei seiner Arbeit (u.a. Abschleifen rostiger und schadhafter Stellen an Containern) wurde er oft sehr schmutzig. Nach der Arbeit begab er sich zum Umkleideraum und wusch oder duschte sich dort. Die verunreinigte Arbeitskleidung ließ er weisungsgemäß im Betrieb zur Reinigung. Schließlich ging er zum Zeiterfassungsterminal und erfasste die von der Beklagten bestimmte Uhrzeit des Schichtendes.
Für Wege-, Umkleide- und Körperreinigungszeiten verlangte er zusätzliche 55 Minuten arbeitstäglich vergütet, insgesamt ca. EUR 26.000 von Januar 2017 bis April 2022.
Das Arbeitsgericht gab der Klage nur für 359 Arbeitstage von Juni 2020 bis April 2022 in Gesamthöhe von EUR 2.262,23 brutto statt. Es legte für Wege-, Umkleide- und Körperreinigungszeiten arbeitstäglich insgesamt 20 Minuten zugrunde. Das Landesarbeitsgericht (LAG) änderte das Urteil geringfügig ab und legte für den vorgenannten Zeitraum arbeitstäglich 21 Minuten zugrunde. Den Zeitaufwand hatte das LAG in einer Art Selbstversuch geschätzt.
Entscheidung des BAG
Das BAG verwies den Streitfall zurück an das LAG und stellte klar, dass Duschzeiten Arbeitszeit sein können. Das LAG muss nun die erforderliche Art der Reinigung und den erforderlichen Zeitumfang prüfen. Zugleich liefert das BAG Abwägungsmaßstäbe:
… Differenzierung bei Körperreinigungszeiten
Auch Köperreinigungszeiten seien als Arbeitszeit anzusehen, wenn sie mit der eigentlichen Tätigkeit unmittelbar zusammenhängen, insbesondere wenn der Arbeitgeber die Körperreinigung ausdrücklich angeordnet oder wenn zwingende arbeitsschutzrechtliche Hygienevorschriften eine solche verlangen, weil der Arbeitnehmer beispielsweise bei der Arbeit mit gesundheitsgefährdenden Stoffen in Berührung kommt.
Körperreinigungszeiten seien aber auch dann zu vergüten, wenn sich der Arbeitnehmer bei seiner Arbeit so sehr verschmutzt, dass ihm ein Anlegen der Privatkleidung, das Verlassen des Betriebs und der Weg nach Hause – sei es durch Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder eines eigenen Fahrzeugs – ohne eine vorherige Reinigung im Betrieb nicht zumutbar ist.
Die Ganzkörperreinigung (Duschen) gehöre nur dann zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit, wenn die Erbringung der Arbeitsleistung ohne anschließendes Duschen bei wertender Betrachtung nicht möglich erscheint.
Nicht jede arbeitstäglich auftretende Verschmutzung – so das BAG weiter – erfordere ein Duschen. Ein bloßes Waschen zur Beseitigung üblicher Verunreinigung, Schweiß- und Körpergeruchsbildung des Tages diene der Befriedigung privater Bedürfnisse und sei damit nicht vergütungspflichtig.
… Arbeitsschutzvorschriften als Orientierung
Das BAG betont, dass für die Beurteilung des Einzelfalls arbeitsschutzrechtliche Vorschriften wie der Anhang der Arbeitsstättenverordnung (Anforderungen und Maßnahmen für Arbeitsstätten nach § 3 Abs. 1 ArbStättV) und die den Anhang konkretisierenden Technischen Regeln für Arbeitsstätten Orientierungshilfen bieten.
- So sind Duschzeiten vergütungspflichtig, wenn der Arbeitnehmer sehr stark schmutzende Tätigkeiten oder Arbeiten mit stark geruchsbelästigenden Stoffen ausübt, er bei seiner Tätigkeit eine körpergroßflächige persönliche Schutzausrüstung trägt oder er Tätigkeiten unter besonderen klimatischen Bedingungen oder bei Nässe verrichtet. In diesen Fällen sei es ihm wegen der eingetretenen Verschmutzung idR. unzumutbar, sich ungeduscht in der Öffentlichkeit zu bewegen oder in seinen PKW zu steigen.
- Anders zu beurteilen sein dürften im Einzelfall laut BAG die Kategorien der stark (im Gegensatz zu „sehr stark“) schmutzenden und der nur mäßig schmutzenden Tätigkeiten (vgl. Abschnitt 6 – Waschräume Nr. 6.1 Abs. 1 Kategorie B und A der Technischen Regeln für Arbeitsstätten Sanitärräume ASR A4.1), bei denen regelmäßig das Waschen der verschmutzten Körperteile genüge. Die hierfür erforderliche Zeit sei unter denselben Voraussetzungen vergütungspflichtig wie die Duschzeit.
Bewertung und Ausblick
Das BAG stellt klar, dass auch Zeiten der Körperreinigung vergütungspflichtig sein können. Erforderlich ist aber eine Abwägung im Einzelfall. Hierfür formuliert das BAG praxistaugliche Kriterien.
Praxistipps
Einfach zu beantworten, jedoch selten sind die Fälle, in denen eine Körperreinigung nach Arbeitsende vom Arbeitgeber verlangt wird oder aufgrund von Arbeitsschutzvorschriften zwingend notwendig ist, etwa bei Arbeiten in extrem heißer Umgebung wie beispielsweise am Hochofen oder Arbeiten, welche mit gesundheitsgefährdenden Stäuben verbunden sind.
In anderen Fällen schmutzbehafteter oder schweißtreibender Arbeit wird sich kontrovers diskutieren lassen, ob es zumutbar ist, ohne Reinigung den Betrieb zu verlassen. Dabei wird nach Art und Umfang der Tätigkeit sowie der getragenen Arbeitskleidung, dem mit der Arbeitsleistung verbundenen Verschmutzungsgrad und der sich daraus ergebenden erforderlichen Art und Dauer der Körperreinigung zu differenzieren sein. Es bieten sich Argumentationsspielräume. Dies können allerdings durch Arbeitsschutzvorschriften eingeengt sein. Im Zweifelsfall sollten Betriebsärzte und / oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit (§§ 2 ff. und 5 ff. ASiG) zu Rate gezogen werden.