Nach Zahlen der EU bieten derzeit ca. 28 Millionen Personen ihre Arbeit auf digitalen Plattformen an, teils als Arbeitnehmer, teils als Selbständige. Das EU-Parlament hat Ende des vergangenen Jahres einen überarbeiteten Richtlinienentwurf der EU-Kommission verabschiedet (2021/0414(COD)), der die Arbeitsbedingungen dieser „Crowdworker“ nun transparenter gestalten und Scheinselbständigkeit verhindern soll. Mit weitreichenden Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht.
Ausgangspunkt
Dass die EU die Plattformarbeit regulieren möchte, ist durchaus nachvollziehbar. Digitale Arbeitsplattformen wurden in den vergangenen Jahren wiederholt mit niedrigen Löhnen, schlechten Arbeitsbedingungen und der Umgehung sozialer Standards in Verbindung gebracht. Doch lohnt sich ein genauer Blick, welche Arbeitsplattformen im Fokus standen und weshalb: Es handelte sich üblicherweise um einfache Tätigkeiten (Ausliefern, Fahren etc.), bei denen der weisungsgebende Arbeitgeber durch einen Algorithmus ersetzt wurde. Je nach Performance oder Kundenfeedback teilte der Algorithmus weitere Aufträge zu oder machte sonstige Vorgaben zur Erbringung der Arbeitsleistung. Die Plattform vermittelt also nicht nur eine Tätigkeit, sie steuert diese auch. Dass auch ein Algorithmus Arbeitgeberfunktion vermitteln kann, hat die deutsche Rechtsprechung zwischenzeitlich mehrfach festgestellt. Viele bekannte Plattformen sind in der Folge umgeschwenkt und beschäftigten nun offiziell Arbeitnehmer.
In der Öffentlichkeit nehmen diese Arbeitsplattformen den größten Stellenwert ein. Doch gibt es zahlreiche Modelle, in denen der Fokus der Arbeitsplattform die klassische Vermittlung der Tätigkeiten ist, z. B. Jobbörsen für Werk- oder Dienstverträge oder Online-Tools von Freelancer-Vermittlungen.
Plattformtätige = EU-Arbeitnehmer?
Und damit sind wir am Kern des Problems. Denn ginge es nach dem EU-Richtlinienentwurf, würde für Scheinselbständige und echte Selbständige in Zukunft gleichermaßen eine gesetzliche Arbeitnehmervermutung eingreifen. Maßgeblich für diese Vermutung ist nicht, ob zumindest Indizien für die weisungsgebundene Tätigkeit oder die Eingliederung in den Betrieb bestehen. Es genügt, wenn der Vertragsschluss über eine Plattform erfolgt.
Hinzu kommt, dass der Richtlinienentwurf alle Plattformen erfasst, die in irgendeiner Form Aufträge online ausschreiben und dabei die gewünschten Anforderungen an eine Dienstleistung weitergeben. Es kommt – anders noch als in dem Kommissionsentwurf – nicht mehr darauf an, dass die Organisation der geleisteten Arbeit ein „notwendiger und wesentlicher Bestandteil“ der von der Plattform erbrachten Dienstleistung ist. Das algorithmische Management der Arbeitsleistung spielt im Entwurfstext überhaupt keine Rolle.
Nun könnte man meinen, das alles sei nicht so gravierend, solange die Vermutungswirkung im Einzelfall widerlegt werden könne. Die in dem Richtlinienentwurf genannten Abgrenzungsmerkmale – etwa die „Einflussnahme auf die Höhe der Vergütung“ und die „Kontrolle der Arbeitsleistung“ – treffen jedoch auf Arbeitnehmer und Selbständige gleichermaßen zu. Es wäre somit in Zukunft durchaus risikobehaftet, Dienst- oder Werkverträge digital zu vergeben.
Wie geht es nun weiter?
Da der Entwurf des EU-Parlaments erhebliche Änderungen zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag enthält, geht es nun in den sog. Trilog zwischen EU-Parlament, -Rat und -Kommission. Eine Einigung war zuletzt u. a. an der Weigerung der Bundesregierung gescheitert. Auch die skandinavischen Länder hatten die Regelungskompetenz der EU moniert, die zwar für Arbeitnehmer, nicht jedoch für Selbständige Mindestentgelte festsetzen darf. Wir bleiben am Ball.