Das Bundesarbeitsgericht schafft in seiner Entscheidung vom 7. Februar 2024 (Az. 5 AZR 177/23) etwas Klarheit beim äußerst praxisrelevanten Thema des Annahmeverzugslohns im Kündigungsschutzprozess. Es tritt insbesondere der strengen Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (Urteil vom 30. September 2022 – Az. 6 Sa 280/22) zu „böswillig unterlassenen Erwerbsbemühungen“ des Arbeitnehmers entgegen und gibt wichtige Hinweise zur Best Practice für Arbeitgeber.
Sachverhalt
Nach einer – rechtskräftig festgestellten – unwirksamen Kündigung verlangte der Mitarbeiter für den über 32 Monate andauernden Kündigungsschutzprozess Annahmeverzugslohn, insgesamt ca. EUR 100.000 brutto. Die Arbeitgeberin verweigerte die Zahlung mit dem Argument, der alte und neue Mitarbeiter habe es böswillig unterlassen, einen anderweitigen Verdienst zu erzielen. Er müsse sich auf seinen Annahmeverzugslohn gemäß § 11 Nr. 2 KSchG deshalb dasjenige anrechnen lassen, was er durch eine ihm zumutbare Arbeit hätte verdienen können.
Zwar hatte sich der Mitarbeiter fristgerecht bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet und ein Vermittlungsgespräch wahrgenommen. Allerdings hatte er der Agentur für Arbeit mitgeteilt, dass er keine Vermittlung von Stellenangeboten wünsche und einen potenziellen Arbeitgeber sowohl über den laufenden Kündigungsschutzprozess als auch seinen Wunsch der Weiterbeschäftigung informieren werde. Die Agentur für Arbeit hatte dem Mitarbeiter daraufhin mehr als ein Jahr lang keine Stellenangebote unterbreitet.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Während das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (29. Dezember 2022 – Az. 3 Sa 100/21) dem Antrag des Mitarbeiters auf Zahlung von Annahmeverzugslohn stattgab, entschied das Bundesarbeitsgericht im Sinne des Arbeitgebers. Der Mitarbeiter habe Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit bewusst und böswillig verhindert. Auch der ungefragte Hinweis des Mitarbeiters auf ein laufendes Kündigungsschutzverfahren in einem Bewerbungsgespräch entspreche nicht dem Versuch ernsthafter Erwerbsbemühungen. Das Verhalten des Arbeitnehmers sei deshalb im Rahmen der Gesamtabwägung als „böswillig“ anzusehen.
Konkretisierung der Anforderungen
Das Bundesarbeitsgericht traf darüber hinaus noch folgende praxisrelevante Feststellungen: Arbeitnehmer können – je nach Einzelfall – gehalten sein, sich auf zumutbare Arbeitsmöglichkeiten zu bewerben. Die Zumutbarkeit im Sinne des § 11 Nr. 2 KSchG beurteile sich nach der Art der Arbeit, der Person des Arbeitgebers und den sonstigen Arbeitsbedingungen, insbesondere Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Verdienst. Diese Pflicht gehe jedoch – anders als noch vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg postuliert – nicht so weit, dass Erwerbsbemühungen im Umfang einer Vollzeitstelle angestrengt werden müssten.
Die sich in Kündigungsschutzprozessen zunehmend etablierende Praxis, gekündigten Mitarbeitern offene Stellenanzeigen zu übersenden, billigt das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich. Gekündigte Mitarbeiter müssen sich mit solchen Stellenangeboten – im zumutbaren Rahmen – auseinandersetzen und im Prozess darlegen, was sie unternommen haben. Ignorieren Mitarbeiter die ihnen unterbreiteten Stellenanzeigen, riskieren sie, den Annahmeverzugslohn als wesentliches Druckmittel im Kündigungsschutzprozess zu verlieren. Arbeitgeber sind deshalb gut beraten, etwas Zeit in die Suche nach Stellenanzeigen zu investieren.
Vorsicht ist bei Wiederholungskündigungen angezeigt: Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts setzt eine Anrechnung von böswillig unterlassenem Verdienst nach § 11 Nr. 2 KSchG zwar immer eine unwirksame Arbeitgeberkündigung voraus, sodass es nicht darauf ankomme, ob die Kündigung offensichtlich unwirksam ist oder nicht. Besondere Umstände, wie vorangegangene unwirksame oder zurückgenommene Kündigungen, könnten nach dem Bundesarbeitsgericht aber berücksichtigt werden.