Im Jahr 2018 statuierte der EuGH in einer wegweisenden Entscheidung erstmals eine Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers bei der Inanspruchnahme von Urlaub. In Bezug auf Langzeiterkrankte bestand seither Unsicherheit, ob es auch ohne Erfüllung dieser Pflichten bei einem Verfall des Urlaubs nach der sogenannten 15-Monatsfrist bleiben würde. Nachdem das BAG bereits im Dezember 2022 für eine teilweise Klärung dieser Frage gesorgt hatte, hat es die Mitwirkungsobliegenheit bei Langzeiterkrankten in seinem Urteil vom 31.01.2023 weiter konkretisiert.
Die Entscheidung des BAG
Der Kläger war bis Anfang 2019 bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem 18.01.2016 bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Die Parteien stritten im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses über die Abgeltung von 30 Urlaubstagen aus dem Jahr 2016.
Das BAG hat die Klage in seinem Urteil vom 31.01.2023 (Az.: 9 AZR 107/20) weitgehend abgewiesen. Nach Auffassung des BAG seien 25 Urlaubstage bereits verfallen.
Richtlinienkonforme Auslegung des § 7 BUrlG hinsichtlich Urlaubsverfall
Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG sei noch bestehender Urlaub abzugelten, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden könne. Nach Auffassung des 9. Senats sind bei der Beurteilung eines Abgeltungsanspruchs sowohl die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers als auch eine längere Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 20.12.2022 (Az.: 9 AZR 401/19) entschieden, dass Urlaub bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG nach Ablauf von 15 Monaten erlischt, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig war.
Der Verfall trete in diesem Fall auch dann ein, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen ist. In diesem Fall sei allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Urlaubsverfall kausal. Hat der Arbeitnehmer hingegen im Lauf des Urlaubsjahres gearbeitet, bevor er arbeitsunfähig erkrankt ist, verfällt der Urlaub grundsätzlich nur dann nach Ablauf der 15-Monatsfrist, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt hat.
Langzeiterkrankte: Kein Selbstzweck der Hinweispflichten
In seinem Urteil vom 31.01.2023 hat der Senat nun die Frage geklärt, wie es sich auf den Verfall des Urlaubs auswirkt, wenn die Erkrankung des Arbeitnehmers sehr früh im Urlaubsjahr eintritt, ohne dass der Arbeitgeber zuvor seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist. Nach Auffassung des BAG diene die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit keinem Selbstzweck.
Dem Arbeitgeber müsse es tatsächlich möglich sein, den Arbeitnehmer vor dessen Krankheitseintritt in die Lage zu versetzen, Urlaub zu nehmen. Ist dies aufgrund des frühen Zeitpunkts der Erkrankung des Arbeitnehmers nicht der Fall, könne die Befristung des Urlaubsanspruchs nicht von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten abhängen.
Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten durch den Arbeitgeber ohne schuldhaftes Zögern
Weiter stellt das BAG in seinem Urteil klar, dass die Aufforderung durch den Arbeitgeber ohne schuldhaftes Zögern erfolgen muss. Dies beinhalte aber nicht, dass der Arbeitgeber unmittelbar nach Urlaubsentstehung tätig werden muss. Aus Sicht des BAG ist unter normalen Umständen eine Zeitspanne von einer Woche ausreichend, damit der Arbeitgeber die entsprechende Belehrung an die Arbeitnehmer erstellt und aushändigt. Erfüllt der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten erst später als eine Woche nach Urlaubsentstehung, handle er hingegen nicht mehr unverzüglich.
Die Beklagte habe die Mitwirkungsobliegenheit im vorliegenden Fall daher nicht vor dem 08.01.2016 erfüllen müssen. Bis zum Eintritt der Erkrankung des Klägers am 18.01.2016 standen damit nur noch 5 Arbeitstage zur Verfügung, in denen der Urlaubsanspruch hätte erfüllt werden können. Die übrigen 25 Urlaubstage seien wegen der Erkrankung des Klägers und der damit einhergehenden Unmöglichkeit der Urlaubsgewährung verfallen. Die Tatsache, dass die Beklagte ihren Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen sei, habe hierauf keinen Einfluss.
Praxishinweis zum Urlaubsverfall bei Langzeiterkrankten
Mit seiner Entscheidung hat das BAG noch einmal klargestellt, dass die Hinweispflichten des Arbeitgebers keinem Selbstzweck dienen, sondern den Arbeitnehmer davor schützen sollen, dass er seinen Urlaub nicht rechtzeitig geltend macht und dieser daher verfällt. Gleichzeitig verdeutlicht das Urteil aber auch, dass der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten unmittelbar nach Beginn des Urlaubsjahres nachkommen muss. Daher sollten Arbeitgeber ihre Hinweispflichten in jedem Fall in der ersten Arbeitswoche des neuen Urlaubsjahres erfüllen.