Das betriebliche Eingliederungsmanagement („bEM“) wird für Arbeitgeber meist im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer personenbedingten Kündigung relevant. Nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX ist ein bEM durchzuführen, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Ziel des bEM ist es, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und den Arbeitsplatz so zu erhalten.
Das BAG betont in ständiger Rechtsprechung, dass die Durchführung eines bEM zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung ist (vgl. etwa BAG, Urt. v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/68; Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13). Gleichzeitig geht das BAG aber davon aus, dass das bEM eine gesetzliche Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt und sich die Nichtdurchführung eines bEM auf die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess auswirkt (vgl. etwa BAG, Urt. v. 13.05.2015 – 2 AZR 565/14; Urt. v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17). Hat der Arbeitgeber ein an sich gebotenes bEM nicht durchgeführt, muss er zur „objektiven Nutzlosigkeit“ des bEM vortragen. Er muss daher ausgehend von den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers darlegen und beweisen, dass
- der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr möglich war,
- eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung des bisherigen Arbeitsplatzes ausgeschlossen war und
- der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können.
Wird die Teilnahme vom Arbeitnehmer abgelehnt, gelangen die gesteigerten Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers nicht zur Anwendung. Ein milderes Mittel als die Kündigung konnte dann im Rahmen des bEM nicht ausgemacht werden.
Bisher waren Arbeitgeber überwiegend davon ausgegangen, dass es ausreicht, wenn sie mit dem jeweiligen Arbeitnehmer maximal ein bEM pro Jahr durchführen. Der insoweit maßgebliche Zeitraum ist gesetzlich nicht geregelt. § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX legt lediglich den Betrachtungszeitraum im Hinblick auf die Krankheitszeiten des Arbeitnehmers fest und bezieht sich dabei auf einen 12-Monatszeitraum, d. h. nicht zwangsläufig auf das Kalenderjahr.
Sachverhalt
Über den gesetzlich nicht geregelten Durchführungszeitraum des bEM hatte nun implizit das BAG zu entscheiden (BAG, Urt. v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21). Es ging um die Frage der Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers, mit dem weniger als 12 Monate zuvor bereits ein bEM durchgeführt worden war. Die Besonderheit des Falls lag darin, dass der Arbeitnehmer im Zeitraum zwischen Abschluss des bEM und Ausspruch der Kündigung erneut länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt war, so dass die Voraussetzungen des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX erneut vorgelegen hatten. Im Kündigungsschutzprozess machte der Arbeitnehmer geltend, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Das BAG gab ihm Recht.
Entscheidung
Dem BAG zufolge hat ein bereit durchgeführtes bEM kein „Mindesthaltbarkeitsdatum“ von einem Jahr. Vielmehr ist grundsätzlich ein erneutes bEM durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer nach Abschluss eines bEM erneut innerhalb eines Jahres für mehr als sechs Wochen erkrankt. Nach Ansicht des BAG ist es nicht ausgeschlossen, dass sich die Sachlage innerhalb von sechs Wochen derart verändert, dass ein neuerliches bEM anders verlaufen und deshalb ein milderes Mittel als die Kündigung hervorbringen kann. Nach dem BAG besteht eine erneute Pflicht des Arbeitgebers, ein bEM zu initiieren, grundsätzlich auch bei Arbeitnehmern, die ununterbrochen wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig sind, entsteht, wenn der Arbeitnehmer nach Abschluss des vorangegangenen bEM für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt bleibt.
Fazit:
Das BAG verschärft die Anforderungen, denen Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Durchführung eines bEM genügen müssen. Es ist nicht mehr ausreichend, wenn ein bEM mit dem jeweiligen Arbeitnehmer maximal ein Mal pro Jahr durchgeführt wird. Der Sechs-Monatszeitraum beginnt nach Abschluss eines bEM stets von Neuem zu laufen, und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer langzeiterkrankt ist oder nicht.
Sprechen Arbeitgeber eine beabsichtigte krankheitsbedingte Kündigung nicht zeitnah nach Abschluss des bEM aus, riskieren sie, dass ein bEM vor Ausspruch der personenbedingten Kündigung erneut durchzuführen ist.